Speicherbecken: Warum nicht naturnah?

Empfehlung eines Experten: Als Lebensraum für Mensch und Tier auslegen

Sie schießen wie die Pilze, pardon Quellen, aus dem Boden: Gemeint sind die Speicherbecken für Beschneiungsanlagen, deren Zahl mit jedem Jahr steigt. Sie zu verhindern, ist meistens ein Kampf gegen Windmühlen. Aber wie wäre es, wenn sie zumindest sorgsam in die Landschaft eingebettet und somit nicht nur nützlich für den Wintersport, sondern im Sommer auch stimmig für die Betrachter und obendrein ein Lebensraum für Pflanzen und Tiere wären?

Raimund Rodewald, promovierter Biologe und seit 1992 Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, ist aktuell in eine spannende Studie eingebunden. Es geht um Beschneiungsspeicher. So nennen Fachleute die künstlichen Seen, die in der Nähe von Skipisten angelegt werden, um Wasser für die Schneekanonen speichern zu können. Genauso wie in Südtirol, wachsen solche Speicherbecken auch in der Schweiz wie Pilze – oder Quellen – aus dem Boden, ohne Rücksicht auf Landschaft, Tier- und Pflanzenwelt.
Nun haben die Betreiber des Skigebietes Toggenburg bei St. Gallen im Zuge der Errichtung solcher Beschneiungsspeicher ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben. Dazu muss man wissen, dass sich das Skigebiet seit Jahren darum bemüht, Veränderungen in der Landschaft behutsam vorzunehmen und es dafür bereits von der Stiftung Landschaftsschutz zur „Landschaft des Jahres“ erklärt wurde.

© 2024 Heimatpflegeverband Südtirol

Ziel des Forschungsprojektes ist es jetzt, gangbare Wege für die „Speicherlandschaft“ der Alpen zu finden, zumal die künstlichen Kleinstseen massive Eingriffe in die sensible alpine Landschaft darstellen. Das Projekt läuft noch, doch Raimund Rodewald gibt schon einen ersten Einblick in seine Arbeit.
Zur aktuellen Situation sagt er: „Die klassischen Beschneiungsspeicher sind schlichtweg eine Katastrophe in der Landschaft. Sie beruhen rein auf Berechnungen von Bauingenieuren und werden dort hingebaut, wo sie am nützlichsten erscheinen.“ Der schlimmste Auswuchs seien jene Seen, die wie Spiegeleier auf Bergkuppen platziert werden und wo das Wasser hinaufgepumpt werden muss.

Für das Forschungsprojekt hat Raimund Rodewald einige Kriterien erarbeitet, um eine etwas andere, möglichst naturnahe Herangehensweise bei der Errichtung von Speicherbecken zu propagieren, die er nicht ohne Grund als „Seen“ bezeichnet.
Diese Kriterien wären durchaus auch für Südtirol wünschenswert, ja sogar erforderlich.

1. Beortung
Das bedeutet zum Beispiel, dass sich der künstlich angelegte See zwar von einem natürlichen See unterscheiden, sich aber dennoch in die geologischen, topografischen und hydrologischen Gegebenheiten einfügen sollte.

2. Einbettung
Dieses Kriterium ist wörtlich zu nehmen. Der See sollte in die Landschaft gebettet werden. In der Regel heißt das: Weg von der (praktischen) Eier- oder Kreisform, denn Geometrie ist in der Natur nicht gegeben. Die Landschaft bestimmt die Form, und wenn es am Fassungsvermögen des Sees scheitert, ist es besser, zwei miteinander verbundene Seen zu bauen als ein großes Becken.

3. Keine Versenkung
Damit die Beschneiungsspeicher im Sommer von Mensch und Tier als Bergseen wahrgenommen werden, dürfen sie nicht tief unter gleichmäßig steilen Böschungsmauern liegen. Es braucht auch Zugänge und Möglichkeiten, das Wasser anzufassen. Tiere sollen auch daraus trinken können.

4. Definition von Veränderbarem und Unveränderbarem
Dazumeint Raimund Rodewald: „Für einen See stellen die Uferformen den individuellen Fingerabdruck dar. Die Uferlinie istmal hart angrenzend an Gestein oder unsichtbar ins Land hineinfließend,mal dicht bewachsen, mal durch Kleinseggen (Gräser) gegliedert, je nach Vegetationsstufe undGeometrie des Beckens. Veränderbares undUnveränderbares wechseln sich ab, Prozesshaftes und Statisches vermitteln Spannung und
schaffen Lebensräume.

5. Intimität
Der See soll attraktiv sein, aber nicht wie auf einem Präsentierteller im Vordergrund stehen. Viel „idyllischer“ wirkt er in einer Geländesenke, umgeben von beeindruckender Landschaft. So schafft man Atmosphäre.

6. Lebensraum
„Ein Beschneiungsspeicher ist mehr als nur ein Reservoir von flüssigem H2O“, sagt Raimund Rodewald. „Offene Wasserflächen werden in der Natur rasch besiedelt und als Tränke genutzt.  Libellen, Wasserläufer, Käfer, Amphibien, Vögel, Rehe oder Kleinsäuger suchen diese Orte auf.“ Wie nützlich diese Seen als Tränken für das Vieh sein könnten, hat der heurige Sommer gezeigt. Allerdings: Damit „naturnah“ gelingt, müsste der ausschließliche betriebswirtschaftliche Gedanke in den Hintergrund treten. „Nicht alles, was naturnah ist, ist bei der Ableitung des Wassers praktisch“, sagt der Biologe. Außerdem muss man beim Anlegen des Sees bedenken, dass er im Frühjahr womöglich leer ist und dennoch nicht wie ein hässliches Becken wirken sollte.

7. Kontemplation und Inspiration
Auch wenn der Begriff Beschneiungsspeicher nicht auf ästhetische Naturerfahrungen hinweist, so sollte er dennoch unbedingt so gestaltet werden, dass Menschen dort Ruhe, Freude und Naturerlebnis empfinden. „Dafür braucht es subtile, gut gestaltete Wege und Verweilorte, ohne dass dies zu einer Möblierung und Überinszenierung des Ortes führt. Ein See ist nämlich keine Theaterbühne“, betont Raimund Rodewald.

Neben den Beschneiungsspeichern ist in der Schweiz wie in Südtirol derzeit ein ähnliches Thema hochaktuell: Speicherbecken oder Teiche für die Bewässerung von Obstanlagen und andere Kulturen. Raimund Rodewald kennt die Problematik. „Solche Becken werden derzeit vielerorts empfohlen und in zumeist völlig unsorgfältiger Weise erstellt“, weiß er. „Die Empfehlungen der Behörden richten sich allerdings unisono an die Verwendung des Wassers, dessen Qualität und die Wasserfassung.“ Gestaltungsvorgaben gebe es nahezu keine: „Das Ergebnis sind schwarz ausgekleidete rechteckige oder runde Becken, die oft eingezäunt sind. Der Nutzen für Natur und Erholung sind oft nahezu Null. Auch hier besteht großer Handlungsbedarf.“

Interview: Edith Runer

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