Die Aufgaben des Heimatpflegeverbandes Südtirol

Gott setzte, so steht es im Schöpfungsbericht des Alten Testaments, den Menschen in den Garten Eden, auf dass er ihn bebaue und bewahre. Diese Aussage beinhaltet einen Kulturauftrag, dem sich die Heimatpfleger verpflichtet fühlen.

Verbandsgeschäftsführer Josef OberhoferSüdtirol ist von einer vielfältigen Kulturlandschaft geprägt, die es zu schützen und zu bewahren gilt. Die hoch über die Talhänge verstreuten Weiler und Bergbauernhöfe des Vinschgaus zählen zu den höchsten Dauersiedlungen der Alpen. Rojen ist mit 1968 Metern die höchste geschlossene Ortschaft der Alpen östlich der Schweizer Grenze. Die über 13 km² große Malser Haide ist der größte Schuttkegel des Alpenraumes. Die Abtei Marienberg und die zu ihren Füßen liegende Fürstenburg bestimmen die Kulturlandschaft des Vinschgauer Oberlandes. Was unsere Vorfahren geleistet haben, bezeugen auf der Malser Haide die ausgeklügelten Bewässerungssysteme, Waale genannt. Die Steppenvegetation des Vinschgauer Sonnenberges zwischen Naturns und Mals ist ein Unikum im Ostalpenraum.

Wieder anders geformt als der Vinschgau ist die Kulturlandschaft des Burggrafenamtes. Sie ist die Keimzelle des Tiroler Landes, sie hat ihm den Namen gegeben. Dem Dynastengeschlecht der Grafen von Tirol gehörte unser Land durch rund sechseinhalb Jahrhunderte an. Zu der im Hochmittelalter entstandenen Verwaltungseinheit Burggrafenamt zählen auch die Nebentäler Ulten und Passeier sowie der Deutsch-Nonsberg.

Überetsch und Unterland stellen eine uralte Kulturlandschaft dar. In ihr hat jede Epoche menschlichen Schaffens unverwechselbare Spuren hinterlassen. Neben den Obst- und Rebkulturen bilden Ansitze, Burgen und Schlösser die an den schönsten Stellen errichtet wurden, einen besonderen Reiz der Landschaft.

Die weiten Porphyr-Mittelgebirge um Bozen erwecken den Eindruck einer Parklandschaft. Dies trifft insbesondere für die Lärchenwiesen des Saltens zu. Der Ritten beherbergt die schönsten Erdpyramiden der Alpen. Diese geologischen Naturdenkmäler stellen Gotik in Perfektion dar.

Wieder ganz anders präsentiert sich die traditionelle Kulturlandschaft des leider vom Transit immer stärker überfahrenen Eisack- und Wipptales. Die Talhänge des Eisacks zwischen Brixen und Bozen sind durch einen kleinräumigen Wechsel von Weinbergterrassen, Waldinseln, Kastanienhainen und Weilern gegliedert. Die Kastanien auf dem Brixner Mittelgebirge zählen zu den schönsten des Landes. Dies alles trifft zum Beispiel für das Gebiet von Säben-Feldthurns-Tschötsch und das Lajener Ried zu.

Das von der Mühlbacher Klause bis Lienz verlaufende Pustertal wird zu Recht als das "Grüne Tal" bezeichnet. Hier machen Fichten-Lärchen-Wälder, die die Talflanken bis hoch hinauf bedecken, nur da und dort ein paar Bauernhöfen Platz. Im Gegensatz zu den vorherrschenden Streusiedlungen des Pustertales stehen die Weiler der ladinischen Dolomitentäler, Viles genannt. Die Viles von Enneberg, Wengen, Campill und Pikolein sind das Ergebnis einer Besiedlung, die sich nach sozioökonomischen und kulturellen Vorbildern richtete. Die ladinischen Weiler sind Ausdruck des Bestrebens ihrer Bewohner, mit dem verfügbaren Kulturgrund sparsam umzugehen. Dies sollte auch heute noch in der Raumordnung ein Gebot der Stunde sein.

Eine besonders wertvolle Kulturlandschaft ist nicht zuletzt das Hochpustertal. Die älteste Klosterniederlassung Tirols ist das im Jahre 769 vom bajuwarischen Herzog Tassilo III gegründete Benediktinerkloster Innichen. Es war seit seinen Anfängen ein Eigenkloster des Hochstiftes Freising. Das Benediktinerkloster Innichen wurde um 1140 in ein Kollegialstift umgewandelt. Das Stift war Grundherr einer beachtlichen Zahl von Höfen im gesamten Hochpustertal. Wie schon das Benediktinerkloster, so leitete auch das Kollegialstift den Siedlungsbau im Gebiet zwischen Welsberg und Abfaltersbach. Um den Klosterbezirk entwickelte sich allmählich die Ortschaft Innichen. Dem Stift waren auch die Hochpustertaler Urpfarren Innichen (mit Sexten), Sillian (mit Vierschach und Abfaltersbach), Innervillgraten, Toblach und Niederdorf einverleibt. Es war dies die geistige, geistliche und wirtschaftliche Zentrale des Gebietes zwischen Olang und Anras. Ohne das Wissen um diese bedeutende geschichtliche Vergangenheit kann man heute viele kulturelle Eigenheiten des Hochpustertales wie Besiedlung, Architektur der Höfe und Dialekte nicht verstehen.

Unsere Aufgabe

Die Tiroler Kulturlandschaft ist -wie Sie sehen- weit mehr als eine Stück Umwelt oder eine aus nostalgischen Gründen zu schützende Sache. Sie ist die Welt unserer Vorfahren, sie ist ein wesentliches Element kultureller Identität der Tiroler Bevölkerung. Die Kulturlandschaft ist unsere Heimat. Heimat ist Haus und Landschaft, ist Musik, Lied, Tanz, Sprache, Brauch und Tracht. Heimat ist das vertraute zu Hause, sie vermittelt Geborgenheit und Orientierung. Diese Quelle an Werterfahrungen erscheint mir unverzichtbar, zumal in einer immer weniger überschaubaren globalisierten Welt. Das Einheits-Europa, von dem sich manche fürchten, hat als Gegengewicht eine Besinnung auf die Kultur der kleinen Räume und das Regionale ausgelöst. Das Wesen Europas besteht gerade in seiner Vielfalt. Die Vielfalt der Regionen macht seinen kulturellen Reichtum aus. Heimat ist unsere regionale Identität als gemeinsame Herkunft, Geschichte, als Begegnungs- und Überlebensraum, wo Menschen das Gefühl der Zusammengehörigkeit haben.
Heimat ist auch die traditionelle Kulturlandschaft, in der die Natur noch einen Platz hat, die Pflanzen und die Tiere, die Lebensräume und Naturdenkmäler. Die Kulturlandschaft ist eine fundamentale Größe für die Lebensqualität der einheimischen Bevölkerung und die touristische Wertschöpfung. Für den Fremdenverkehr sind zumindest ökologische Stabilität und landschaftliche Schönheit unverzichtbare Voraussetzungen. Die Kulturlandschaft steht für natürliche Vielfalt und landschaftliche Eigenart. Sie ist eine gültige Formel für entscheidende Dinge im heutigen und künftigen Lebens-, Arbeits- und Erholungsraum Tirol.

Wir müssen handeln...

Die außerordentliche wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat zu einem schleichenden Verlust und zu einer Verarmung unseres unverwechselbaren Natur- und Kulturerbes geführt, die wir landauf und landab feststellen können. Weder die in Werbebroschüren vorgetäuschte Urtümlichkeit unserer Naturlandschaft, noch die darin zur Schau gestellte Boden- und Eigenständigkeit unserer Bevölkerung können über die Tatsache hinwegtäuschen, dass auch Südtirol schon längst auf dem Wege ist, seinem beschaulich-konservativen Eigenleben mehr und mehr zu entwachsen und dass in vielen Bereichen das Gespür für das rechte Maß verloren gegangen ist. Es gibt eine ganze Flut von Kulturverlegungen und Umwidmungen, eine explodierende Bautätigkeit und eine besorgniserregende Zweckentfremdung des landwirtschaftlichen Grüns. Die Raumordnung und der Landschaftsschutz werden ständig gelockert. Das landwirtschaftliche Grün, sprich Kulturlandschaft, bleibt auf der Strecke, Zersiedelung und Verhüttelung schreiten voran. Davon betroffen sind auch Ortsbilder, Ensembles und kulturgeschichtlich wertvolle Bauten vom Ansitz bis zum Bauernhof. Mit dem Abbruch jedes wertvollen historischen Baues verlieren wir ein Stück Heimat. An Stelle der einst von Tal zu Tal typischen Bauelemente macht sich immer stärker ein Einheitsstil breit. Denken wir nur an die Gewerbestandorte. Es gibt kaum noch eine Gemeinde in Südtirol, wo man nicht an deren Ortseinfahrt eine solch zweifelhafte "Visitenkarte" hingeklotzt hat.
Die modernen Bauten in Südtirols Dörfern und Städten haben -genauso wie andernorts in Europa- häufiger mit Verzweiflungsarchitektur und Dekonstruktivismus zu tun, als mit Baukultur. Auch bei uns fehlen beim "neuen Bauen" vielfach die Ortsbezogenheit, die Angemessenheit und die Wertbeständigkeit. Es wird kaum mehr Rücksicht auf die Menschen genommen. Die Landwirtschaft und die Energiewirtschaft tun dann noch das ihre dazu.

Wir sollten uns immer wieder fragen, was uns unser Natur- und Kulturerbe wert ist. Es geht nicht darum, den Fortschritt abzudrosseln, aber man muss ihn in Bahnen lenken, die nicht nur momentan Gewinn, sondern bleibenden Wertebestand sichern. Tradition bedeutet nicht Uniformität und Unwandelbarkeit, sondern scheidet Bleibendes von Vergänglichem.
Die Natur und die Kulturlandschaft sind unser Kapital. Man kann sie nicht gegen mehr Einkommen eintauschen. Die unversehrte Kulturlandschaft ist auch eine fundamentale Größe für den Tourismus. Nichts wird man schon bald höher bezahlen als das Privileg, abseits des Verkehrs in einer noch nicht verschandelten Ortschaft ausrasten zu dürfen! Eine bis zu den Gipfeln verbaute Kulturlandschaft ohne Seele kann uns nicht mehr Heimat sein. Immer mehr Menschen verspüren, gerade angesichts des zunehmenden Verkehrs, dass ihre Heimat bedroht ist.

Wir sind an die Grenzen der Belastbarkeit gestoßen, ein "Mehr" verkraften wir und die Natur nicht. Es ist daher unsere Aufgabe darauf zu achten, dass das allmählich Gewachsene an Natur und Kultur nicht einer maßlosen Entwicklung zum Opfer fällt.

Josef Oberhofer, Verbandsgeschäftsführer a.D.