Die Hüterin der Trostburg

Teresia Gröber, Kastellanin der Trostburg

Teresia Gröber, genannt Tresl, lebt seit 76 Jahren auf der Trostburg hoch über Waidbruck. Burg und Anwesen sind im Eigentum des Südtiroler Burgeninstitutes, das dort auch einen Sitz hat. Tresl ist die gute Seele dieses Ortes. Beide – sie und die Trostburg – sind einen Besuch wert.

© 2023 Heimatpflegeverband Südtirol

Auf einer Burg zu leben, das mag für den einen oder die andere ein heimlicher Traum sein. Doch spätestens in der ersten Winternacht dürfte der Traum ausgeträumt sein. Denn „so um die drei Grad“ beträgt die Temperatur im Schlafzimmer oben im ersten Stock, erklärt Tresl, während wir unten inder Küche sitzen und sie ein weiteres Scheit in den Holzherd wirft. „Mit einer Wärmflasche lässt sich das gut aushalten“, räumt sie schmunzelnd ein. Tresl ist abgehärtet. Von harten Wintern und harter Arbeit. In 76 Jahren hat sie eine Zentralheizung nie vermisst und musste zu kleinen Modernisierungen in ihrer Wohnung beinahe überredet werden. „Ich bin ein Naturmensch“, sagt sie achselzuckend – und dass sie ihr Leben um nichts in der Welt mit einem anderen, bequemeren Dasein tauschen würde.
Tresl macht Kaffee und scheint sich über etwas Gesellschaft zu freuen. Im Winter ist hier oben wenig los. Für die Besucher bleibt die Trostburg in der kalten Jahreszeit geschlossen. Zu tun gibt es dennoch viel. Seit rund 200 Jahren bewirtschaftet die Familie Gröber den Hof, der zur Burg gehört – schon Tresls Urgroßvater arbeitete hier. Man lebte von dem, was der kleine Hof abwarf. Die Kinder wurden eingespannt, wo es ging. Sie halfen beim Füttern des Viehs, beim Bearbeiten der Kornfelder, bei der Heuarbeit und im Haushalt. „Ich hab es immer gern gemacht“, sagt Tresl.

Alle gingen, Tresl blieb
Bis Ende der 1960er-Jahre gehörten Mauern und Grundstücke den Grafen von Wolkenstein, die sie als Sommerresidenz nutzten. Tresl erinnert sich noch gut an die letzte Gräfin, die hier wohnte. „Sie schlief morgens immer länger, und so durften wir Kinder, meine fünf Geschwister und ich, keinen Radau machen.“ Als die Erhaltung der Burg zu teuer wurde, blieb der Grafenfamilie nichts anderes übrig als die Veräußerung. Eine Gruppe von Südtiroler Persönlichkeiten gründete eine Gesellschaft, erwarb die Burg und schenkte sie später dem damaligen Südtiroler Burgenverein, heute Burgeninstitut. Mit viel Einsatz und Geld rettete dieser Verein die bereits äußerst gefährdeten Mauern vor dem Verfall. Damit war auch Tresls Heimat gerettet. Sie durfte bleiben, auch als ihre Geschwister nach und nach wegzogen und ihre Eltern starben. Später wurde sie vom Burgeninstitut angestellt, auf sie Acht zu geben und die Landwirtschaft zu besorgen.
© 2023 Heimatpflegeverband Südtirol
Die Arbeit ist ihr Leben
Mittlerweile bezieht Teresia Gröber eine kleine Rente, aber sich zur Ruhe zu setzen, diesen Gedanken lässt sie gar nicht zu. Die Arbeit ist ihr Leben. Zum Glück sei sie nicht mehr so anstrengend wie früher, als es noch keine Maschinen gab, stellt sie fest. Die Äcker sind, bis auf das Erdäpfelfeld, verschwunden. Ebenso die Kühe. Einige Hühner, drei Katzen und vier stramme Noriker, die Tresls Bruder Meinhard für die Zucht verwendet und die schon Preise gewonnen haben, leisten der 76-Jährigen noch Gesellschaft. Sie ist froh, dass Meinhard und dessen drei Söhne – alle vier von Beruf Maurer – in ihrer Freizeit die teils steilen Wiesen mähen und die Reben pflegen. Denn ihre Hüfte macht nicht mehr richtig mit, und das bereitet ihr ein bisschen Kummer. Mit Hilfe einer Krücke bewältigt die kleine, drahtige Frau dennoch in bewundernswerter Weise ihren Alltag. Nach der Saison, die am 31. Oktober zu Ende ging, hat sie wie immer sämtliche Holzböden des Anwesens gereinigt – Quadratmeter für Quadratmeter mit Wasser, Seife und einer Stielbürste. „Danach ist der Boden immer wie neu“, sagt sie, und ihre blitzblauen Augen strahlen.

7.000 Besucher*innen
Ebenso wie die Stielbürste beim Putzen ersetzt im Sommer auf der Wiese der Rechen ihre Krücke. „Die Buben sagen immer: Oma, das machen wir schon. Aber a bissl nützlich möchte ich doch noch sein.“ Als ob es nicht schon nützlich und anstrengend genug wäre, die Gäste dreimal täglich eine Stunde lang durch die Burg zu führen und ihnen dabei Geschichte und Geschichten rund um die Trostburg näher zu bringen. Doch auf die Führungen möchte Tresl nie und nimmer verzichten. Im Gespräch mit den Besucher*innen wechselt sie fließend vom Deutschen ins Italienische. „Mit 14 Jahren haben mich die Eltern mehrere Monate zu einer italienischsprachigen Familie nach Bozen geschickt, für die ich den Haushalt geführt und mich um die Kinder gekümmert habe“, erzählt sie. Viele Winter lang habe sie dort gearbeitet, um im Frühling zum Rebenbinden wieder heimzukehren. Sonst war sie, bis auf einen einzigen Meeraufenthalt und zwei Ausflügen als Marketenderin der Musikkapelle Waidbruck nach Bayern nie auswärts. „Wozu auch?“, sagt sie achselzuckend. „Mir hat’s hier immer gut gefallen.“

© 2023 Heimatpflegeverband SüdtirolEin Lebenswerk
Von April bis Juni und dann wieder im September und Oktober ist Tresl auf der Trostburg als Burgführerin beschäftigt. Im Hochsommer übernehmen Student*innen diese Aufgabe. Rund 7.000 Besucher*innen besichtigten 2022 die Burg, die auch ein Museum beherbergt. Jedes Jahr freut sich Tresl auf den Gründonnerstag, wenn sie die ersten Besucher*innen empfangen darf. Im November schließt sie nach einer anstrengenden Saison erleichtert die Tore. Am liebsten führt sie Schulklassen, weil sich die Kinder für das Leben auf der Burg sichtlich begeistern. Die Erwachsenen hingegen staunen nicht nur über die Erzählungen der einzigen Burgbewohnerin, sondern auch über die vielen bunten Blumen, die in Vasen, Trögen und allerhand sonstigen Gefäßen überall auf dem Gelände und in den Räumlichkeiten für Farbtupfer sorgen. Blumen sind Tresls Leidenschaft.
Die harte Arbeit scheint Tresl mit einem weichen Charakter auszugleichen. Ihre liebenswerte Art, ihre Bescheidenheit, ihre sichtliche Lebensfreude, aber auch ihr profundes Wissen über die Burg, die ihr anvertraut ist, haben sie zu einer allseits bekannten und beliebten Persönlichkeit gemacht, die schon in einigen Zeitungen und Fernsehsendungen vorgestellt wurde. 2009 verlieh man ihr die Verdienstmedaille des Landes Tirol. Es war eine sichtbare Anerkennung für das Lebenswerk von Teresia Gröber, der guten Seele der Trostburg.


Text: Edith Runer

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